Yvon Chabrowski: CONTINUED ATTEMPT

4. November – 17. Dezember 2022
Artisttalk mit Yvon Chabrowski und Marijke Lukowicz (Kuratorin Urbane Künste Ruhr), 24. November 2022

Wir betreten die Ausstellung und nehmen ein sich stetig veränderndes Geräusch wahr. Die Beine gebeugt, der Körper an die Scheibe gepresst, lebensgroß in den Rahmen eines 65-Zoll-Monitors. Die Augen verlieren sich kurz in der Struktur eines grünen Pullovers, der in seiner Farbigkeit an einen Greenscreen erinnert, und wandern über die verschiedenen Bezugsebenen des Bildes.
Yvon Chabrowski performt selbst: klopft und drückt sich erst vorsichtig an den gläsernen Screen, um sich dann mit der vollen Wucht ihres Körpers gegen ihn fallenzulassen. Die Innenseite des Monitors agiert als Widerstand, mit dem sich ihre Körperkraft misst.

Die Arbeit GREEN bietet uns einen Moment der Selbstbefragung und eröffnet die Ausstellung CONTINUED ATTEMPT. Die Arbeiten der Ausstellung sprechen auf unterschiedlichste Weise über das Verhältnis und Wechselwirkungen zwischen unserem Körper und dessen medialer Repräsentation. Verschiedene performative Versuche bringen dieses Verhältnis in Bewegung.

Die Präsenz von Körpern in medialen Bildern ist ein fester Bestandteil unseres alltäglichen Lebens, welches zunehmend digitalisiert wird und sich auf soziale Netzwerke verlagert. Yvon Chabrowskis Video-Skulpturen analysieren Konstruktionen und Realitäten dieser medialen Bildwelten, sowie ihre Begrenzungen.

So begegnen wir in der Arbeit BODIES IN TRANSITION der Performerin Ayşe Ohron und dem Schauspieler Benno Fürmann lebensgroß auf einem immer schneller werdenden Laufband. Beide Performende tragen Kostüme, die traditionelle Körperbilder binärer Geschlechtlichkeit bedienen: der muskulöse Mann und die schlanke Frau. Im Verlauf der Performance lösen sich beide von ihren geschlechterspezifischen Attributen und eröffnen eine Möglichkeit, genderneutrale Körperbilder zu formen. Das Laufband kann gelesen werden als Symbol für den ausufernden Wahn der Selbstoptimierung.

In der Arbeit KINESIS | GLITCH sind Oberkörper und Kopf von Yvon Chabrowski mit Kinesio-Tape verklebt. Der Körper wirkt starr, das Tape zieht an der Haut, fixiert und hält zurück. Die Bewegung ist eingeschränkt, wie auch der Blick, der mit den Funktionsstörungen des Monitors verschwimmt. Kinesio-Sporttapes, die sonst funktionelle Beweglichkeit unterstützen sollen, kippen hier ins Gegenteilige. Die Kontrolle über den Köper bleibt, wenn auch nur mit Mühe. Es eine Selbstbehauptung gegen die von außen zugeschriebenen Körperbilder.

Die Performance für die Video-Skulptur HEADS entwickelte Yvon Chabrowski in Kooperation mit der bostwanischen Performerin Mmakgosi Kgabi. Mit rohem Ton formen die Künstlerinnen abwechselnd ihre Köpfe ab. Schicht für Schicht wird der Kopf ummantelt. Die Hände drücken sich satt in das weiche Material, hinterlassen Spuren und bringen es in seine Form. Der Atmen deutlich hörbar unter dem Tonglobus.
Momente des Vertrauens wechseln ab mit Momenten des Miteinanders. In HEADS verdichten sich Perspektiven, Blicke, Bildschirmoberflächen, Spiegelbilder, Projektionen und Erinnerungsbilder und münden in einem Erfahrungs- und Assoziationsraum. Dieser Raum ist nicht nur in der Video-Skulptur spürbar, sondern auch physisch im Ausstellungsraum. Die Tonelemente der Performance sind zu einem dichten Feld am Boden angeordnet, in dem sich vorsichtig bewegt werden kann und welches zugleich haptisch erfahrbar ist.

CONTINUED ATTEMPT – Fortgesetzter Versuch. Wie auch bei Christa Wolfs gleichnamigen Essayband ist die Ausstellung von Yvon Chabrowski ein Selbstgespräch, ein Versuch der Kontaktaufnahme und ein Nachdenken über die Gegenwart.

Yvon Chabrowskis Video-Skulpturen sind Reflexionsprozess transformiert in räumliche Setzungen. Dabei geht sie der Frage nach, wie Medienbilder, historische Narrative und traditionelle Körperbilder sich in unsere eigenen Körper einschreiben. Jede Video-Skulptur ist ein performativer Denkraum, innerhalb dessen sich neue Perspektiven eröffnen.
Dabei werden die Betrachtenden Teil des Bildes, Antworten können sie nur bei sich selbst finden.

[Laura Gerstmann, 2022]